Arzneimittelversorgung älterer Menschen

Die Arzneimitteltherapie ist eine zentrale therapeutische Intervention. Vor allem ältere Patienten leiden häufig an mehreren Erkrankungen gleichzeitig und benötigen daher multiple Arzneimitteltherapien. Rund die Hälfe der über 65-Jährigen nimmt regelmäßig fünf oder mehr gemäß Leitlinien verordnete Arzneimittel ein. Bei fast jedem fünften dieser Patienten befindet sich darunter ein Medikament, das für ältere Menschen als potenziell ungeeignet gilt. Neben unerwünschten Arzneimittelwirkungen und Interaktionen können Krankenhauseinweisungen oder sogar Todesfälle die Folge dieser Polypharmakotherapie sein.[1,2]

Klinische Studien zeigen, dass eine optimierte Steuerung der Arzneimittelversorgung die Gesundheit der Patienten verbessern und Folgekosten einer inadäquaten Arzneimitteltherapie senken kann.[1] Für eine am aktuellen Forschungsstand ausgerichtete Pharmakotherapie benötigen Ärzte Instrumente aus unabhängigen Quellen. Ein Lösungsansatz sind strukturierte Arzneimittelkonsile in Verbindung mit praxisindividuellen Auswertungen der Arzneimittelversorgung der älteren Patienten, bei denen die Verordnungen kritisch beleuchtet werden. Zu diesem Schluss kam auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR).[3]

Mit dem sogenannten FORTA-Konzept verfolgen wir diesen Ansatz auch im Gesundheitsnetzwerk in Billstedt und Horn. In diesen Stadtteilen kommt erschwerend hinzu, dass viele chronische Erkrankungen wie Diabetes, Koronare Herzkrankheiten oder Rückenschmerzen bei über 65-Jährigen häufiger auftreten als in besser situierten Regionen.[4] Eine altersgerechte Arzneimitteltherapie mit gut verträglichen Präparaten ist in dieser Bevölkerungsgruppe daher besonders relevant. Wir sehen in der Intervention großes Potential, die Lebensqualität der älteren Patienten zu verbessern.

Kontakt

Möchten Sie einen Fall aus Ihrem Praxisalltag diskutieren? Dann schreiben Sie dem Referenten Prof. Dr. Martin Wehling, Direktor Klinische Pharmakologie an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

Prof. Dr. Martin Wehling

  • Martin.Wehling@medma.uni-heidelberg.de
Arzneimittelkonsile nach dem FORTA-Konzept

Welche Arzneimittel sind nun für ältere Menschen geeignet und welche nicht? Für die behandelnden Ärzte ist es im hektischen Praxisalltag eine Herausforderung, die Balance zwischen Über- und Unterversorgung ihrer multimorbiden Patienten sicherzustellen. Um die Auswahl geeigneter Medikamente zu erleichtern, entwickelte Prof. Dr. med. Martin Wehling, Direktor Klinische Pharmakologie an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, das sogenannte FORTA-Prinzip.[5] FORTA steht für „Fit for the aged“ und kategorisiert in Form einer umfassenden Liste Wirkstoffe in Verbindung mit ausgewählten Indikationen nach ihrer Tauglichkeit für die Therapie älterer Patienten.[6] Der Einteilung liegt ein hierarchisches Bewertungsschema von A bis D zugrunde (A-bsolutely, B-eneficial, C-areful, D-on‘t).[5,7,8,9] Dass das Konzept erfolgreich ist, zeigt eine randomisierte klinische Studie von Kuhn-Thiel et al.: Betagte Studienteilnehmer, deren Medikation mit Hilfe der FORTA-Liste evaluiert und angepasst wurde, erlitten insgesamt deutlich weniger Arzneimittelnebenwirkungen und wiesen einen besseren klinischen Gesamtzustand auf.[9] Die Liste steht kostenlos als Android-App zur Verfügung.

Die regelmäßigen Fortbildungen nach dem FORTA-Konzept sind mit jeweils 5 CME-Punkten zertifiziert und inzwischen fester Bestandteil im neuen Gesundheitsnetzwerk für Billstedt und Horn. Die Konsile stehen unter der Leitung von Prof. Wehling. Vor jeder Sitzung haben die Teilnehmer die Gelegenheit, Fallbeispiele an Prof. Wehling zu senden. Im Eingangsvortrag beleuchtet er zu wechselnden Indikationen die jeweilige Arzneimitteltherapie und stellt die wissenschaftliche Daten- und Studienlage dar. Dabei erläutert er, für welche Indikationen welche Therapie geeignet ist und welche Risiken diese birgt. Im Anschluss daran stellen die Teilnehmer ihre Einzelfälle aus dem Praxisalltag zur Diskussion, um diese nach dem FORTA-Prinzip zu bewerten. Der wissenschaftliche Austausch zwischen den teilnehmenden Ärzten ist zudem ein wichtiger Bestandteil der Netzwerkarbeit in den Stadtteilen.

Termine und weitere Links

Literatur

1 Moßhammer D, Haumann H, Mörike K, Joos S (2016): Polypharmazie – Tendenz steigend, Folgen schwer kalkulierbar. In: Dtsch Arztebl Int 113(38): 627-33. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0627.
2 Wehling M, Burkhardt B (Hrsg.) (2016): Arzneitherapie für Ältere. 4. Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer.
3 Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (Hrsg.) (2014): Bedarfsgerechte Versorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche. Gutachten 2014. URL: http://www.svr-gesundheit.de/fileadmin/user_upload/Gutachten/2014/SVR-Gutachten_2014_Langfassung.pdf [Zugriff: 02.06.2017].
4 OptiMedis (Hrsg.) (2015): Entwicklungs- und Handlungskonzept für eine gesundheitsfördernde Stadtteilentwicklung in Billstedt und Horn. Hamburg.
5 Pazan F, Weiss C, Wehling M (2016): The FORTA (Fit fOR The Aged) list 2015: Update of a validated clinical tool for improved pharmacotherapy in the elderly. In: Drugs Aging 33: 447-449.
6 Pazan F, Weiss C, Wehling M. Die FORTA-Liste. Fit for The Aged. Expert Consensus Validation 2015. URL: https://www.umm.uni-heidelberg.de/ag/forta/FORTA_Liste_2015_deutsche_Version.pdf [Zugriff: 02.06.2017].
7 Wehling M (2008): Arzneimitteltherapie im Alter: Zu viel und zu wenig, was tun? In: Dtsch Med Wochenschr 133(44): 2289-2291.
8 Wehling M (2009): Multimorbidity and Polypharmacy: How to Reduce the Harmful Drug Load and Yet Add Needed Drugs in the Elderly? Proposal of a New Drug Classification: Fit for the Aged. In: J Am Geriatr Soc 57(3):560-561.
9 Kuhn-Thiel AM, Weiß C, Wehling M (2014): Consensus Validation of the FORTA (Fit fOR The Aged) List: A Clinical Tool for Increasing the Appropriateness of Pharmacotherapy in the Elderly. In: Drugs Aging 31(2):131-140.